Dampfboote - Historisches - zusammengetragen von Rainer Radow

12.03.2010
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Im Torpedoboots-Maschinenraum

Es ist 8 Uhr morgens.

Aus dem Schornstein des am Bollwerk vertäute liegenden Torpedobootes quellen dichte schwarze Rauchwolken, und durch die halbgeöffneten Fenster über dem Maschinenraum dringt ein leises, fauchendes Zischen.

Prüfend geht der Maschinist durch den engen Raum und überblickt das scheinbar wirre Durcheinander der Maschinenteil. Hier und dort öffnet er den Deckel eines der blitzblank geputzten messingenen Schmiergefäße, aus denen das Öl nach unten tropft, um die Reibung und das Warmlaufen des Getriebes zu verhindern. Da schlägt die Glocke des Maschinentelegraphen mit hellem Klang an, und der Zeiger an der Scheibe springt auf "Halbe Fahrt zurück!"

Mit einem Satz ist der Maschinist auf seinem Posten an der Umsteuerung und öffnet den Dampfhahn. Da kommt leben in die starren Massen. Es regt und bewegt sich wie ein vielgliedriges Ungetüm. Doch kein Laut wird vernehmbar. Nur von außen schlägt das von der Schraube aufgewühlte Wasser rauschend gegen die dünne Stahlwand.

Ein neuer Glockenschlag. "Halbe Fahrt Voraus!"

Wenige Sekunden genügen, um die Maschine von Rückwärts- auf Vorwärtsgang zu stellen, und das Boot schießt aus dem Hafen hinaus in die freie See.

Hoffentlich geht alles gut! Denkt der Maschinist bei sich und ruft dem Heizer zu: "Gut aufpassen!" Denn eine dreistündige Probefahrt liegt vor ihnen bei der Kessel und Maschine an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit angestrengt werden.

"Sind Sie klar? Wir fangen gleich an!" ruft nach einer Weile eine Stimme von oben in die Maschine hinunter.

"Zu Befehl!" antwortet der Maschinist und legt die Hand an den Dampf­hebel. Starr haftet sein Blick auf dem Zeiger des Maschinentelegraphen.

Kling! "Äußerste Kraft voraus!"

Eine kurze Bewegung der Hand, und plötzlich rast die Maschine, von dem entfesselten Dampf getrieben, mit geradezu unheimlicher Geschwindigkeit los. Sechshundert Umdrehungen in der Minute! Ein Rütteln und Schütteln geht durch das schlanke Fahrzeug, daß wie von Dämonen gejagt davonstiebt.

"Gut aufpassen!" schallt wieder der Ruf des Maschinisten warnend durch den Raum, während er mit den Augen die Bewegung der Maschine zu verfolgen sucht. Es ist unmöglich bei der ungeheuren Schnelligkeit, mit der die einzelnen Teile durcheinanderfliegen.

"Kühlvorrichtung anstellen!" befiehlt er laut, und ein Strom kühlenden Wassers übergießt die wirbelnden, kreisenden, tanzenden Massen, die ihn wie unwillig als Sprühregen, mit Öl vermischt, wieder abschleudern. Im Nu sind die Seitenwände und die Heizer von oben bis unten mit der sprüenden schmierigen Flut übergossen. Glatt und schlüpfrig werden die Platten des Bodens. Lebensgefährlich ist jede unvorsichtige Bewegung. Wer der Maschine zu nahe käme, würde von ihr in Stücke gerissen! Das wissen die Leute, darum füllen sie nur mit weit ausgestrecktem Arm behutsam die sich leerenden Ölgefäße nach. Von den Gesichtern strömt über den Hals und Brust der Schweiß. Fast unerträglich wird die Hitze. Und doch kommt es noch schlimmer!

Quersees nimmt jetzt das jagende Boot seinen Lauf, und vor den überbrechenden Seen müssen die Deckfenster geschlossen werden. Die Luft da unten ist zum Ersticken. Ein grauweißer Dampfschleier trübt den Blick, und bei dem heftigen Schlingern sind die Leute dauernd in Gefahr auszugleiten. Nur mühsam vermögen sie sich zu halten und ihren lebensgefährlichen Dienst zu versehen. Doch keiner wankt oder weicht von seinem Posten.

"Wieviel Umdrehungen?" erschallt durch das Sprachrohr die Frage von oben.

"Sechshundertzehn!" antwortet der Maschinist nach raschem Blick auf den Zeiger.

"Können Sie nicht mehr machen?"

Um zwei drei Millimeter weiter wird der Hebel geöffnet, und die Umdrehungszahl steigt.

"Sechshundertzwanzig!" tönt die Meldung nach oben.

"Gut! So halten!"

Und weiter und weiter geht die tolle Fahrt.

Langsam und bleiern verstreicht denen da unten im Maschinenraume Minute um Minute. Abgeschlossen von dem frischen, freudigen Leben draußen, das ihnen keinen kühlenden erquickenden Lufthauch senden kann, harren sie aus. Der Dampf faucht und zischt wie ein gereiztes Raubtier im Käfig, das mit sausenden Tatzen um sich haut. Doch ruhig und fest steht sein Bändiger. Ein Druck der Hand, und wie erdrosselt steht das Untier bewegungslos, bis er ihm zu neuem Aufsprung Leben verleiht. Da schrillt plötzlich der Telegraph: "Äußerste Kraft zurück!" Wie von Zauberhand gerührt, hemmt die Maschine im wildesten, rasensten Umschwung ihren Lauf und arbeitet im nächsten Augenblick rückwärts. Ein Ächzen, Stöhnen, Zittern geht durch den ganzen Bau, als ob er bersten müsse. Mit donnernden Toben peitschen die Schrauben das Wasser am Heck zu strudelnden Wirbeln auf und hemmen die schnaubende Fahrt. "Halt!" und regungslos stehen die Eisenwellen. Leise schwankt das Boot hin und her auf der wogenden See. Die Fahrt ist beendet, und mit halber Kraft geht es zum Hafen zurück. "Feuer aus!" befiehlt der Kommandant beim Vonbordgehen. "Ich bin mit der Leistung der Maschine zufrieden!"

Die Feuer unter den Kesseln werden gelöscht, und die Heizer putzen ihre Maschine im Laufe des Nachmittags wieder blitzblank. Das sie stundenlang in beständiger Lebensgefahr geschwebt haben, daran denkt kein Mensch, sie selber am allerwenigsten. Es war eben "Dienst".



Graf Bernstorff im deutschen Flottenkalender für 1905

(Abdruck aus einem Schulbuch von 1906)


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