Während des Winterlagers 2010/11 bei den Wadephuls an der Lesum hatte ich Emma komplett neu gestrichen und die von mir gebaute 2-Zylinder-Verbunddampfmaschine in Hannover gründlich überholt. Sozusagen fabrikneu durfte Emma im Frühjahr 2011 wieder ins Wasser. Einige sommerliche Fahrten auf der Lesum machten mich mit den Gezeitenströmungen auf einem relativ kleinen Fluss vertraut. Jede Tourenplanung musste nach dem Gezeitenkalender erfolgen, um an Engstellen wie Brücken nicht mit Volldampf gegen Strömungen von über 10 km/h im Zeitlupentempo ankämpfen zu müssen – selbstverständlich passierte mir das bei der ersten Ausfahrt...
Am 08.06.2011 traten Emma, ein Bekannter und ich die Reise zurück nach Hannover an. Natürlich regnete es wieder, und wir fuhren mit herabgelassenen „Fenstern“. Aus der Lesum kommend, bogen wir in Vegesack stromabwärts in die Weser ein. Mit knapp 300 m Breite wird sie hier als Seewasserstraße geführt und von entsprechend großen Schiffen befahren.
Vorbei an der Fähre Lemwerder-Vegesack, der Abeking & Rasmussen Werft und der Lürssen Werft war der Zeitplan so ausgelegt, dass wir die Weser mit abklingendem Ebbstrom nach 17,3 km Fahrt in Elsfleth verlassen konnten.
Die 24 Flusskilometer der Hunte von Elsfleth bis Oldenburg führten an diesem Tag zu einem Gezeitenunterschied von über zwei Stunden. Während in Elsfleth bereits um 13:52 Niedrigwasser herrschte, wurde dies in Oldenburg erst um 16:02 erreicht. Ein energiebewusster Dampfbootfahrer hätte in Elsfleth festgemacht und in der Huntemündung das auflaufende Wasser abgewartet. Mit ausreichend Kohle an Bord „arbeiteten“ wir uns jedoch sogleich gegen den Fluss- und Gezeitenstrom voran.
Siegesfreudig erreichten wir um 17:00 Uhr die Schleuse Oldenburg. Im Gegensatz zu den freundlichen Weser-Schleusenerfahrungen auf der Hinreise lief hier alles strikt nach Plan. Nach über zwei Stunden Wartezeit waren wir die einzigen Teilnehmer an der letzten Sportbootschleusung des Tages. Den spiegelglatten Küstenkanal hatten wir nun ganz für uns allein. Der nächste vor Sonnenuntergang erreichbare Liegeplatz wurde im Elisabethfehn-Kanal ausgemacht, wo wir gegen 22:20 Uhr bei herrlichem Abendrot festmachten.
Gestärkt durch an Bord zubereiteten Kaffee, Spiegelei und Speck, ging es zurück auf den Küstenkanal. Historisch betrachtet zweifellos ein bedeutendes Bauwerk, ansonsten jedoch auch nur 64 km Kanalfahrt mit einer Schleuse in Dörpen, die einen in den Dortmund-Ems-Kanal (DEK) entlässt.
Da mir die Weserströmung Richtung Hannover für eine Rückfahrt zu stark erschien, hatte ich den Dortmund-Ems-Kanal (DEK) als Rückroute ausgewählt. Der DEK folgt auf vielen Abschnitten der Ems, kürzt jedoch diverse Flussmäander durch Schleusen ab. Diese Staustufen dämpfen die Strömung im Fahrwasser so stark, dass man sie teils kaum wahrnimmt, während die gewundenen Flussabschnitte eine abwechslungsreiche Landschaft bieten. Am zweiten Reisetag machten wir nach 75 gefahrenen Kilometern vor der Schleuse Hüntel fest.
Der dritte Reisetag sollte uns zum Etappenziel Nordhorn führen. Dorthin hatte der Heimatverein Emma und mich zu seinem Wasserfest eingeladen. Pünktlich um 15:00 Uhr trafen wir im Alten Hafen Lingen auf das nach dem Verein benannte Motorschiff Graf Ship, das 1929 als Dampfboot Söse vom Wasser- und Schifffahrtsamt Minden für Schub- und Schleppdienste beschafft worden war.
Der Geleitschutz für die letzten 16 km nach Nordhorn durch das Motorschiff Graf Ship hatte einen besonderen Grund. Auf der amtlichen Seite des NLWKN (Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz) steht über den Ems-Vechte-Kanal: „Keine Verkehrssicherung durch Eigentümer und Betreiber der Gewässer und Anlagen (Achtung: Unterwasserhindernisse, insbesondere im Stadtbereich Nordhorn möglich!). Keine Gewährleistung bestimmter Tauchtiefen oder Lichtraumprofile.“ Die Graf Ship hatte auf ihrer Hinfahrt nach Lingen sozusagen als Minensucher den nahezu unbefahrenen Kanalabschnitt von zwei Fahrrädern und anderem „Unkraut“ befreit, damit Emma unbeschadet passieren konnte. Belohnt wurden wir mit einer romantischen Kanalfahrt, bei der ich mir allerdings keine Begegnung von zwei maximal zugelassenen, 6,5 m breiten Fahrzeugen vorstellen konnte – vorausgesetzt, der befahrbare Wasserweg war überhaupt durchgängig 6,5 m breit.
Nach zwei Wochen einsamen Liegens an einem Privatanleger nahm Emma am Festtag drei hohe Ratsherren an Bord, um sie auf dem Kanal am jubelnden Nordhorner Volk vorbei zu fahren. Leider hatte das Wetter den Namen Wasserfest zu ernst genommen. Vom Volk war nichts zu sehen und die gewählten Volksvertreter zogen es an der verabredeten Stelle vor, nicht auf die bereitgestellten Ruderboote umzusteigen, sondern Emmas warmen und trockenen Dienste zurück zu Ihren Autos in Anspruch zu nehmen.
Nach dem Bunkern von 250 kg Braunkohlebriketts und ausreichend Proviant machten Emma, mein Bastelfreund Wilhelm und ich uns in der folgenden Woche auf den Rückweg nach Hannover. In einer extra für 16:00 Uhr organisierten Sonderschicht öffnete die handbetätigte Drehbrücke am Ortseingang den Wasserweg in den Ems-Vechte-Kanal.
Insgesamt 23 km und eine Schleuse schafften wir noch, bevor wir um 20:00 Uhr vor der für diesen Tag bereits außer Betrieb befindlichen Schleuse Hesselte festmachten. Ein deftiges Abendessen mit Feierabendbier und das gemütliche Nachtlager bewiesen erneut Emmas Bequemlichkeit für mehrtägige Ausflüge mit Übernachtung an Bord.
Auf der 30 km langen Strecke des Dortmund-Ems-Kanals (DEK) von der Mündung des Ems-Vechte-Kanals bis zum Nassen Dreieck müssen sechs Schleusen durchfahren werden. Die 4- bis 8-km-Abschnitte zwischen diesen Wasserhindernissen reichten den mit uns schleusenden Binnenschiffen jeweils aus, um uns abzuhängen und vor verschlossenen Schleusentoren stehen zu lassen. So übt man geduldiges Feuerhalten bis zum nächsten Schleusengang.
Gegen 12:00 Uhr spuckte uns die letzte Schleuse dieser Kette ins Nasse Dreieck, von wo aus wir in die 163 km lange, schleusenfreie Zielgerade nach Hannover einbogen. Das war nun ein ganz anderes Fahren. Bei konstanter Marschfahrt wurden nach der Uhr Briketts nachgelegt und die Maschine abgeschmiert. Lediglich eine Übernachtung bei Kilometer 70,5 in Preußisch Oldendorf unterbrach diese Routine, bis Emma ihren Liegeplatz bei der Marinekameradschaft in Hannover erreichte.
Während die Hinfahrt von Hannover zu Peter nach Bremen-Lesum 219 Flusskilometer und vier Tage dauerte, benötigten wir für die Rückfahrt zwei Etappen à drei Tage mit insgesamt 333 Flusskilometern und 14 zeitaufwändigen Schleusen. Alle Beteiligten haben die Zeit außerordentlich genossen.